Die öst. Wirtschaftskammer und deren Präsident, Harald Mahrer, stehen diese Woche aufgrund ihrer eigenen Gagen massiv unter Druck.
Die Wirtschaftskammer erhöht die Gehälter ihrer Spitzenfunktionäre um bis zu 60 %; die Gehaltserhöhung für Mitarbeiter wird mit 4,2 % angesetzt (wenn auch um sechs Monate verzögert). Gleichzeitig drängt dieselbe Wirtschaftskammer darauf, dass die betrieblichen Löhne zur Dämpfung der Inflation unter der Teuerungsrate erhöht werden. Großen Applaus spendete sie dem „vernünftigen und der Krise angepassten“ KV-Abschluss der Metallindustrie mit einer Lohnerhöhung von 1,41 %.
Harald Mahrer reagierte auf den geballten Unmut der österreichischen Medienlandschaft , indem er öffentlichkeitswirksam „Reue“ zeigte und eines seiner hoch dotierten Mandate (Aufsichtsrat in der Nationalbank) zurücklegte.
Wenn man zynisch wäre, würde man einwenden:
Na klar brauchen die Wirtschaftskämmerer eine möglichst vollständige Inflationsabgeltung. Wie sollen sie sich sonst ihre Privatschulen und Zusatzkrankenversicherungen leisten?
Sollen sie sich etwa auf das von ihnen treu und teuer mitverwaltete öffentliche System verlassen müssen?
Das wäre wahrlich eine menschenunwürdige Gemeinheit – gerade in Zeiten, in denen sich Berichte über den Niedergang des öffentlichen Schulsystems häufen und selbst die medizinische Grundversorgung für Notfälle teilweise nicht mehr gewährleistet scheint.
Tatsächlich gehen diese Debatten um Vergütungen teilweise am eigentlichen strukturellen Problem vorbei.
Die gesetzlich verankerte Stellung der Sozialpartner im Allgemeinen und ihrer Kammern im Besonderen – abgesichert durch verpflichtende Mitgliedsbeiträge – strotzt nur so von verfassungsrechtlichen Widersprüchen.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Die Kumulation von Ämtern in der Interessenvertretung mit Ämtern in der Republik verhindert jede Gegnerunabhängigkeit und schafft Top-down-Machtapparate, keine Bottom-up-Interessenvertretungen.
Warum wird die WK-Kammerumlage 1 vom Umsatz berechnet und nicht vom Gewinn? Bestimmte Geschäftsmodelle werden dadurch begünstigt, andere benachteiligt.
Inwiefern ist die Unparteilichkeit der Wirtschaftskammer gewährleistet, wenn Rücklagen in Milliardenhöhe in bestimmte Großunternehmen investiert werden, die von der Verdrängung kleinerer Mitbewerber – insbesondere durch Überregulierung – profitieren? Müssten die zulässigen Rücklagen nicht gedeckelt und entsprechende Anlageregeln aufgestellt werden?
Eine satirische Szene aus dem Wirtschaftskammer-Alltag:
„Servus Franz, die EU möchte unseren Wirten mit einer neuen Bau-Richtlinie das Leben schwer machen. Da werden sicher wieder viele das Handtuch schmeißen.“
„Geh, Fritz, lass gut sein – ein Teil unserer 2 Mrd. Euro Rücklagen steckt ohnehin in McDonald’s-Aktien. Apropos: Der Wirt aus St. Unfried am Berg hat seit einem halben Jahr seine Pflichtbeiträge nicht gezahlt. Sollen wir ihn exekutieren oder gleich einen Insolvenzantrag stellen?“
Das Problem stellt sich fĂĽr die Arbeiterkammer aber genauso. Welches wirtschaftliche Interesse hat diese Institution wirklich daran, dass es kein Mehrklassen-Gesundheitssystem gibt, wenn sie selbst Anteile an Versicherungsgesellschaften halten darf, die von Zusatzversicherungen fĂĽrstlich leben?
Wieso wird einem österreichischen Gewerkschaftsbund, der seinen Streikfonds in Heuschrecken-Hedgefonds investiert(e) und nur 20 % der Dienstnehmer abdeckt, überhaupt die Kollektivvertragsfähigkeit zugesprochen?
Möglicherweise wird es den Sozialpartnern gelingen, diese Fragen auch in der aktuellen öffentlichen Empörung aus der Debatte herauszuhalten.
Langfristig hängen Erfolg und Dynamik der österreichischen Wirtschaft – und damit die Zukunftsfähigkeit der österreichischen Gesellschaft – gerade von der Lösung dieser Fragen entscheidend ab.
Leider hat die österreichische Spitzenpolitik den Ernst der Lage in keinster Weise verstanden. So meldete sich in derselben Woche, in der die Bezüge-Skandale der Wirtschaftskammer aufgedeckt wurden, Bundeskanzler Stocker in einer Videobotschaft aus dem Homeoffice zu Wort und erklärte die Zukunft des Landes zu einer Frage des patriotischen Optimismus, ohne auf die Notwendigkeit struktureller Reformen auch nur mit einem Wort einzugehen.